"Grüne Woche" – Internationalität in Zeiten der Berliner Mauer

Quelle: eKapija Dienstag, 20.01.2009. 15:00
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Die Internationale Grüne Woche Berlin zählt zu den traditionsreichsten Berliner Messen und zu den bekanntesten Veranstaltungen in Deutschland überhaupt. Mittlerweile blickt sie auf eine über 80-jährige wechselvolle Geschichte zurück. Die Grüne Woche öffnet in diesem Jahr nun schon zum 74. Mal ihre Pforten. Aus einer schlichten lokalen Warenbörse ist die international bedeutendste Messe der Ernährungswirtschaft, der Landwirtschaft und des Gartenbaus.

Seit 1926 präsentierten sich rund 74.000 Aussteller aus 117 Ländern den 30 Millionen Fach- und Privatbesuchern mit einem umfassenden Produktangebot aus allen Kontinenten.

Von Verkaufsständen auf offener Straße bis einen 7000 m2 großen Ausstellungsraum

Angefangen hatte alles mit Lodenmänteln. Als die deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) seit Ende des 19. Jahrhunderts ihre Wintertagungen in Berlin abhielt, bestimmten in auffälliger Weise eine Woche lang grüne Kleidungsstücke das Bild der Stadt. Handwerk und Industrie boten parallel dazu im Tagungsviertel auf offener Straße berufsspezifische Artikel und Verbrauchsgüter an. Als dieser wilde "Handel und Wandel" immer stärkere Formen annahm, hatte der Landwirt Hans-Jürgen von Hake, seinerzeit Mitarbeiter im Berliner Fremdenverkehrsamt, die Idee, die Tagung 1926 erstmals mit einer landwirtschaftlichen Ausstellung am Kaiserdamm zu verknüpfen. Die "Grüne Woche" - der Begriff stammte wohl von Journalisten - war geboren.

Dieser Schritt fand damals einhellige Zustimmung. Waren doch vordem Reit- und Fahrturniere, Kleintierausstellungen, ein Saatenmarkt und Jagdschauen über ganz Berlin verstreut. Diese präsentierten sich nun erstmals kompakt auf 7.000 Quadratmetern in einer Funk- und einer Autohalle und zählten im Eröffnungsjahr schon mehr als 50.000 Besucher.


(Riesentraktor, 1926)

Die deutsche Reichshauptstadt selbst nutzte damals noch ein Fünftel ihres Territoriums für Landwirtschaft und Gartenbau. In ihrem Stadtgebiet lebten 45.000 Pferde, 25.000 Schweine, 21.000 Milchkühe und mehr als eine halbe Million Stück Geflügel. 200.000 Berliner besaßen einen Kleingarten. Größtes Exponat der ersten Schau war ein eisenbereifter Universalschlepper mit 100 PS. Das vier Meter hohe Ungetüm mit übermannsgroßen Rädern galt als ein Zeichen der beginnenden Mechanisierung in der Landwirtschaft.

Errungenschaften aus Wissenschaft und Technik´

Die Grüne Woche entwickelte sich in den folgenden Jahren rasant. Errungenschaften aus Wissenschaft und Technik feierten fortan auf der „Grünen Woche“ ihre Premieren. So sollte beispielsweise 1928 eine Fußspurmaschine beweisen, dass ein Hund nur der menschlichen Fußspur und nicht dem Geruch nachläuft. Bei der 5. „Grünen Woche“ 1930 sorgte eine riesige Eierfrischhaltemaschine, in der sich 5.000 Eier im Kreis drehten und auf diese Weise über einJahr auf „natürlichem Wege“ frisch gehalten werden sollten, für großes Aufsehen.

(Eierfrischhaltemaschine, 1930)

Ähre wird zum Markenzeichen

1936 wurde das von Wilhelm Hölter entworfene Markenzeichen - die stilisierten gelben Ähren auf grünem Grund - zum Symbol der Grünen Woche. Ab 1934 griff der "Reichsnährstand" in das Messegeschehen ein und gab ihm einen deutlich braunen Anstrich. Mit 72.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche bot sich dem Besucher eine Fülle von Sonderschauen und Veranstaltungen.

Nach dem Ausfall 1938 infolge der in Deutschland grassierenden Maul- und Klauenseuche öffnete die „Grüne Woche" ein Jahr später vorläufig letztmals ihre Tore und wies auf ein noch heute aktuelles Thema hin: Besondere und weithin sichtbare Attraktion war die „Ernährungsuhr“, die auf Kalorienersparnis programmiert war und automatisch Tipps für gesunde Mahlzeiten gab. So empfahl die Ernährungsuhr beispielsweise statt geräucherter Pökelrippe eine leckere Gemüseplatte, deren Zutaten genau aufgeführt wurden.

Neuanfang mit Würsten und Schinken aus Pappe

Nach Jahren des Krieges, des Hungers und der Zerstörung erweckte der Zentralverband der Kleingärtner, Siedler und Boden nutzenden Grundbesitzer mit unglaublicher Zivilcourage im Spätsommer 1948 die „Grüne Woche" wieder zum Leben. 59 Aussteller präsentierten ihre Exponate dem Berliner Publikum – und das unter widrigen Umständen. Die drei Westsektoren Berlins erhielten nämlich nur von 23 bis 1 Uhr sowie von 9 bis 11 Uhr Strom und litten unter der sowjetischen Blockade aller Land- und Wasserwege.

(Obst und Gemüse, 1948

So brachten beispielsweise am Eröffnungstag der „Grünen Woche“ innerhalb von 24 Stunden 250 britische und 357 amerikanische Flugzeuge Versorgungsgüter aller Art in den Westteil der Stadt. Auf dem Ausstellungsgelände waren Obst und Gemüse wie eine 3,3 Kilogramm schwere Kastengurke oder ein Kürbis, der 40 Kilogramm auf die Waage brachte, viel bestaunte Anziehungspunkte, die in Zeiten des Hungers und Mangels für viele Berliner unerreichbare Schätze darstellten. Die Kreuzberger Zuchtsau „Dora“ mit ihren Ferkelchen ließ bei den Besuchern Träume von Schinken und Speckseiten aufkommen, doch was tatsächlich an Schinken und Würsten an einigen Ständen hing, war leider nur aus Pappe.

Der Neuanfang war gemacht. Ab 1949 zeichneten die „landeseigenen Berliner Ausstellungen" für die Messe verantwortlich. 1950 fiel die Grüne Woche wegen größerer Bauarbeiten aus. Die Internationalität der Grünen Woche nahm ihren Lauf, als 1951 ein offensichtlich weit vorausschauender Aussteller aus Holland appetitliche Gemüsepyramiden dem staunenden Publikum offerierte. Sie lösten auch bei Bundeskanzler Konrad Adenauer Bewunderung aus. Danach nahm die Beteiligung ausländischer Aussteller in den kommenden Jahren kontinuierlich zu. Trendsetter war die Grüne Woche schon immer: Bereits 1953 wurde die Biogasanlage „Darmstadt“ der Fachwelt präsentiert. Der Hersteller warb mit einer täglichen Biogasproduktion von zehn Kubikmetern, „die reicht aus, um im Haus die Brennstellen zum Kochen, zur Heißwasseraufbereitung und zum Kartoffeldämpfen zu versorgen.“

(Gemüsepyramiden aus Holland, 1951)

Bis 1961 war die Grüne Woche besonders für die Landwirte in der ehemaligen DDR von besonderer Attraktivität. Zwischen 30 und 50 Prozent der Besucher fanden - trotz erheblicher Behinderungen an den Sektorengrenzen - immer wieder den Weg zum Berliner Funkturm. 1954 drängten sich erstmals mehr als eine halbe Million Besucher durch die inzwischen neun Hallen mit einer Gesamtfläche von 30.000 Quadratmetern.

Internationalität in Zeiten der Berliner Mauer

Die erste Ausstellung nach dem Mauerbau (13. August 1961) war den Veranstaltern ein Ansporn, nach der Abriegelung zum Umland die Lebensfähigkeit der Veranstaltung nun erst recht unter Beweis zu stellen. Sie erhielt erstmals den Namen „Internationale Grüne Woche Berlin'62" und stand unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Heinrich Lübke.

Von den 669 Firmenausstellern stammte fast die Hälfte aus dem Ausland.

Insgesamt rund 50 Länder, die meisten aus Westeuropa, sowie die USA, Kanada, Israel, Marokko und Libanon hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits einen festen Platz gesichert. Über 438.000 Besucher tranken 100.000 Schoppen Wein, aßen 300.000 „Groschenäpfel“ und stärkten sich an 65.000 Portionen Joghurt des Deutschland-Standes und machten die „Grüne Woche“ des Jahres 1962 zu einem vollen Erfolg. Am Frankreich-Stand wurde sogar der Nachschub knapp: Am Ende waren über 54.000 Austern geknackt und geschlürft worden.

(Wurstbaum aus der Türkei, 1976)

Neue Blütezeit nach der Wiedervereinigung

Im Jahr 1990 begann für die Internationale Grüne Woche Berlin eine neue Blütezeit. Nach der Vereinigung Deutschlands stand sie wieder allen Besuchern aus dem natürlichen Umland sowie aus den benachbarten Staaten Mittel- und Osteuropas offen. War zunächst aus Zeitgründen manches improvisiert, so demonstrierten ab 1991 auch äußerlich sichtbar die fünf neuen zusammen mit den alten Bundesländern in der ersten deutschen Gemeinschaftsschau der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) und der Bundesländer die neue Leistungsfähigkeit der Ernährungswirtschaft.

Den Grüne-Woche-Teilnehmern bot sich ein umfangreiches Rahmenprogramm mit inzwischen mehr als 250 Vorträgen, Seminaren und Symposien, darunter das Internationale Forum Agrarpolitik des Deutschen Bauernverbandes und das Ost-West-Agrarforum des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Mit der ersten FRUIT LOGISTICA 1993 (seit 2004 findet die weltweite Leitmesse für den internationalen Fruchthandel zeitlich getrennt von der Grünen Woche statt), der Landmaschinenschau und der MultiServa als Fachveranstaltungen sowie der Heim-Tier & Pflanze (seit 1996 in die Grüne Woche integriert) und dem BioMarkt 1998 bekam die traditionsreiche Messe unter dem Funkturm neue attraktive Programmpunkte.

(Grüne Woche 2009)

Mit dem abgeschlossenen Erweiterungsbau des Berliner Messegeländes auf 160.000 Quadratmeter im Jahr 1999 konnte der landwirtschaftliche Bereich der Grünen Woche um die Segmente „Tierzucht“ und „Nachwachsende Rohstoffe“ erweitert werden. Mit dem neuen Millennium wurde die Grüne Woche konzeptionell durch zukunftsorientierte Themen wie „Grünes Geld“ und „Erneuerbare Energien“ ergänzt.

Mit der Internationalen Grünen Woche 2005 – der ersten Veranstaltung nach der EU-Osterweiterung (1. Mai 2004) zum größten Binnenmarkt der westlichen Welt - wurde Berlin mehr denn je zum Treffpunkt für Politiker und Experten aus den Bereichen Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft.

Die Anzahl der Aussteller bleibt in diesem Jahr unverändert, trotz der aktuellen globalen Wirtschaftskrise, was die Bedeutung und Position der Ausstellung noch einmal bewiesen hat.

T.S.

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