Jugoslawische Kinemathek feiert 100 Jahre des serbischen Spielfilms im rekonstruierten Gebäude
Viele erinnern sich noch immer an die Zeit, als Eintrittskarten für Vorführungen im Museum der Jugoslawischen Kinemathek nicht am Kartenschalter, sonder nur bei Wiederverkäufern finden konnte, als man stundenlang in Schlange gestanden hat, um sich eines der Meisterwerke der Filmkunst anzusehen. In der Kosovska Straße Nr. 11 in Belgrad wurden im Vorjahr 1.000 Kultfilmen vorgeführt. Journalisten, Forscher, Filmexperten und -fans wenden sich nicht selten an unsere Institution, weil wir in unserem Archiv 95.000 Filmkopien aus 134 Ländern weltweit aufbewahren. Im Jahr, in dem wir 100 Jahre des serbischen Spielfilms feiern eröffnete die Jugslawische Kinemathek die Türen ihres rekonstruierten Gebäudes in der Uzun Mirkova Straße Nr. 1 in Belgrad. Unsere Institution ist einzigartig auch, weil sie am 6. Juni jedes Jahres, ihrem Gründungstag, seltene alte Filme auf Nitrozellulosenträgern vorführt. Der 62. Geburtstag des Filmarchivs und -museums wurde durch Präsentation des rekonstruierten Gebäudes gefeiert. Nach der Erteilung der Nutzungsgenehmigung werden wir das Gebäude für das Publikum eröffnen.
- Wir möchten im Oktober dieses Jahres das 100-jährige Jubiläum des ersten serbischen Spielfilms "Leben und Heldentaten des unsterblichen Fürsten Karadjordje" aus dem Jahre 1911, gedreht von Cica-Ilija Stanojevic. Wir haben in den vergangenen Jahren die Erneuerung des Filmarchivs und des Museums der Kinemathek zu Ende geführt und hoffen, das rekonstruierte Gbäude in der Uzun Mirkova Straße bald für das Publikum zu eröffenen. Dort befinden sich die Direktion, drei modernst ausgestattete Kinos, Bibliothek mit Lesesaal, Phono- und Videothek u.a. Die Rekonstruktion hat uns bisher 5 Mio. Euro gekostet, genauso viel wie wir am Anfang 2007 vorgesehen haben. Das Geld haben wir aus dem Nationalen Investitionsprogramm und von der Europäischen Investitionsbank bekommen. Die Dynamik der Arbeiten hat von der Finanzierung abgehängt. Wir müssen noch einen Kinoprojekteor und Überwachungskameras für das Objekt erwerben - erzählt Radoslav Zelenovic, Direktor der Kinemathek, am Anfang eines Interviews für das Wirtschaftsportal "eKapija".
(Kino im rekonstruierten Gebäude der Jugoslawischen Kinemathek)
Für das neue Aussehen des "Neuen Gebäudes" waren das Unternehmen "Svetlost teater" und sein Hauptarchitekt Rajko Maric zuständigt. Der Architekt Pavle Vasev gestaltete den Innenraum des Gebäudes in der Uzun Mirkova Straße. Alle Bauarbeiten wurden dem Unternehmen "Gradina" und die Ausstattung des Gebäudes "Arhi pro" anvertraut.
Die Rekonstruktion und Adaptation des Gebäudes in Uzun Mirkova war aber nur eine von zahlreichen wichtigen Projekten der Institution in den vergangenen Jahren.
Wo, wie und von wem wird dieser Kunstschatz aufbewahrt?
Wegen des Raummangels hat man 2007 mit Hilfe der französischen Regierung einen neuen Bunker für das Filmarchiv im Wald Košutnjak in Belgrad, eines der modernsten in diesem Teil Europas bauen lassen.
Das jugoslawische Filmarchiv gehört mit seiner Sammlung von rund 95.000 Filmkopien (Zelluloidfilme und auf Azetatträgern, Stumm- und Tonfilme, schwarz-weiß und in Farbe) und über 200.000 Filmplakaten und Standfotos zu den größten Filmarchiven der Welt. 80% des Archivs entfallen auf ausländische Filmen, unter denen die wertvollsten Werken der internationalen Filmgeschichte.
(Radoslav Zelenovic)
- Das Archiv der Kinemathek bewahrt 15.000 Zelluloidfilme als seinen wichtigsten Teil, die von 1895 bis 1952 gedreht worden waren. Es handelt sich um die einzige Sammlung dieser Art in der Welt. Nur bei uns kann man sich diese Filme an jedem 6. Juni seit 15 Jahren ansehen - betont der Direktor der Kinemathek.
Jeder Teil des Archivs wird auf eine besondere Weise aufbewahrt. Negative von Farbfilmen benötigen die Temperatur von 0 °C und eine Luftfeuchtigkeit von 35%, während Negative von schwarz-weißen Filmen auf Temperaturen zwischen 12-15 °C und Luftfeuchtigkeit von 50% bewahrt werden.
Das Archiv bewahrt auch Diapositive, Negative, Filmplakate und Standfotos, Dokumente, Szenenentwürfe, Schallplatten und andere Aufnahmen von Filmmuik. Die Foto-Sammlung enthält ca. 250.000 identifizierte (und genauso viel noch nicht bearbeiteten) Fotos aus Filmen der einheimischen und ausländischen Filmproduktion, von Filmregisseuren, Schauspielern und anderen.
(Neues Depot)
Die Kinemathek ist, außerdem, für eine Sammlung von technischen Geräten in Verbindung mit der Filmkust verantwortlich. Zu den wertvollsten Exponaten gehören unter anderem: Zauberlampe (1890), Originalkamera der Gebrüder Lumière (1896), Kinetoscope von Edisson (1893), erste Studio-Filmkamera "Pate Frer" (1903), Polyphone (1860), Phonographe von Edisson (1908) und viel mehr.
Die Modernisierung der Kinemathek sei aber, laut Zelenovic, noch nicht fertig. Zu neuen Aufgaben gehört, unter anderem, der Bau von zusätzlichen Filmbunkern.
- Wir verfügen noch immer nicht um einen entsprechenden Lager, in dem wir die ganze Sammlung aufbewahren können. Fast 20.000 Filmkopien befindent sich momentan in einer Lagerhalle im Hafen Belgrad. Wir benötigen noch 5 Filmbunker wie diesen und dieses Projekt sollte im nächsten Jahr starten - erklärte Zelenovic.
Mit der Archivierung eines Filmes beginnt die harte Arbeit an seiner Aufbewahrung.
(Raummangel im Depot)
Um dieses unschatzbaren Kulturerbe dem breiteren Publikum vorzustellen und es für nachkommnde Generationen zu bewahren gründete die Jugoslawische Kinemathek 2009 das modernste Zentrum für Digitalisierung von Filmen in der Umgebung dank der finanziellen Unterstützung der Europäischen Agentur für Entwicklung.
Der erste Film, der digital restauriert, bearbeitet und dem Publikum präsentiert wurde, ist "Leben und Heldentaten des unsterblichen Fürsten Karadjordje" aus dem Jahre 1911.
Das Zentrum für Digitalisierung ist von großer Bedeutung für die Sammlung, weil man hier Filme restaurieren und in den ursprünglichen Zustand bringen kann. Die Herstellung einer 35 mm Kopie ist die einzige Garantie für seine Rettung.
(Filmfans warten in Schlange vor der Kinemathek in der Kosovska Straße)
- Wir haben bisher Kopien von 60 einheimischen Filmen auf 35 mm Trägern rekonstruiert. Die Filmkunst hat das zwanzigste Jahrhundert gekennzeichnet und sich als Kulturerbe der modernen Zivilisation beweist. Die Digitalisierung ist sehr wichtig, aber es gibt keine bessere Bewahrungsmöglichkeit für Filme als auf der Filmband. Digitale Systeme haben sich inzwischen als unzuverlässlich erwiesen. Kollegen aus anderen Filmarchiven in der Welt haben uns über die Entstehung von sogenannten "schwarzen Löchern" informiert - betont Zelenovic.
Wie kann man Filmen finden, in denen Schauspielern wie Živojinovic, Dravic, Samardžic und Dvornik gemeinsam gespielt haben?
Die Computerisierung der Kinemathek begann in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts.
- Wir arbeiten momentan am Verzeichnis des zentralen Katalogs. Alles was wir in der elektronischen Form bewahren, ist im Kartonkatalog registriert. Der Katalog lässt sich nach dem Namen des Regisseurs, des Landes, Schauspielers durchsuchen... Sie können zum Beispiel verlangen, dass Ihnen alle Filmen aufgelistet werden, in denen Bata Živojinovic, Milena Dravic, Ljubiša Samardžic und Boris Dvornik gemeinsam gespielt haben. Der Katalog lässt sich auch nach Satzteilen oder Worten aus dem Drehbuch durchgesucht werden.
(Standfoto aus dem Film "Sünderin ohne Sünde")
Das Archiv wird von Journaliten, Forscher und Filmfans aus der ganzen Welt durchgesucht. Wiele angesehene Forscher wenden sich an die Kinemathek in Belgrad.
- Wir stoßen regelmässig auf einen neuen Film. Wir haben bisher 16 Filme gefunden, unbewußt, dass es um einzige Kopien dieser Filme in der Welt.
Die Jugoslawische Kinemathek beschäftigt 40 Mitarbeiter, benötigt aber noch 100, sagt Zelenovic.
- Wir reden über das Welt-Kulturerbe, über eine nicht erneuerbaren Ressource.
Das Filmarchiv der jugoslawischen Kinemathek sollte bald als Welt-Kulturarbe von der UNESCO geschützt werden, im Rahme des Projekts "Memory of the World".
(Innenraum des rekonstruierten Gebäudes der Jugoslawischen Kinemathek)
Die Belgrader Sammlung dürfte auch für Freunde jüngerer Spielfilme interessant sein. Während in Westeuropa Filmkopien nach dem Lizenzablauf oftmals vernichtet werden und somit für immer aus dem kollektiven Gedächtnis zu verschwinden drohen, ist in Jugoslawien seit Jahrzehnten ein Gesetz in Kraft, das den Filmverleihern vorschreibt, mindestens eine Kopie jedes Films ins Archiv zu geben. Das betrifft auch ausländische Produktionen. Gerade kommerzielle Unterhaltungsfilme, denen puristische Filmkritiker einen künstlerischen Wert oftmals erst nach mehreren Jahren zubilligen, werden so der Nachwelt erhalten. Auf der Suche nach Filmen wie David Cronenbergs surreal-realistischem Horrorschocker Die Fliege, von dem in Deutschland keine Kopie mehr existiert, könnten Betreiber westeuropäischer Filmmuseen vielleicht in Serbien eher fündig werden als im eigenen Land. Doch vorher wird es darum gehen, den Betrieb der Institution insgesamt aufrecht zu erhalten.
Gegründet wurde das Archiv 1949, als Abteilung von "Zvezda Film", als der Filmliebhaber Tito den Wert der "siebten Kunst" für den Aufbau des Sozialismus entdeckte und die bis dahin in seinem Land nur rudimentär vorhandene Filmindustrie aufbaute. Der erste Direktor war Milenko Karanovic. Nur ein Monat nach der Gründung hat man ein Archiv mit 700.000 m Filmband gebildet. Zwei Drittel des Archivs entfielen damals auf die einheimische Produktion.
Die Jugoslawische Kinemathek feiert ihren Geburtstag am 6. Juni zum Gedanken an die erste Filmvorführung in Belgrad, im Kafeehaus "Zlatni krst" im Jahre 1896.
S.O.